Im Luzerner Wesemlin-Quartier mit seiner alteingesessenen Anwohnerschaft wollte die Kirche ihre Rolle neu definieren: Das grosszügige Grundstück rund um das Pfarrhaus und gegenüber dem Kloster Wesemlin sollte zum Quartierzentrum verdichtet werden – mit Alterswohnungen, Mietwohnungen im ehemaligen Pfarrhaus, dem bestehenden Pfadiheim in seinem Holzschopf, einem Quartiertreff und belebendem Gewerbe. Dass das neue Zentrum trotz seiner hohen Dichte an den Charme und den Charakter des gewachsenen Quartiers anküpft, ermöglichte unter anderem ein Konzept aus der asiatischen Gartengestaltung: die geborgte Landschaft.
Lebendige Dichte oder unangenehme Enge? Das ist auch eine Frage der Wahrnehmung. Und genau hier, bei der Wahrnehmung, setzt das alte Konzept der Borrowed Landscapes aus der asiatischen und englischen Gartengestaltung an: Es erweitert den Horizont, lenkt den Blick gezielt auf die weitere Umgebung. Es lässt den Garten als Teil der umgebenden (Stadt-)Landschaft erscheinen. Fliessende Übergänge statt harter Grenzen, Sichtbezüge zu einem Baum, Aussichtspunkt – oder Gebäude – in der Umgebung, eine Artenwahl und räumliche Staffelung der Pflanzen, die Bezüge nach aussen sucht: All das vermittelt Zugehörigkeit zum grösseren Ganzen – und suggeriert damit auch auf kleinem Raum Weite.
Für das «Wäsmeli» haben wir diese Prinzipien der Gartengestaltung auf den Kontext eines Schweizer Stadtquartiers übertragen. Wo früher eine grosse Grünfläche lag, entstand zwischen der ergänzten, nun recht dichten Bebauung eine Abfolge kleinerer Freiräume und Grünflächen, die nahtlos ineinander und in die Freiräume der Nachbarschaft übergehen und dank der quartiertypischen «Schlupfwege» allseits zugänglich sind. Auch kleinste Restflächen wirken so dank ihrer Verbindung mit dem Umfeld nicht wie Abstandsgrün, sondern sind vielmehr ökologisch und ästhetisch wertvolle Übergangsräume – je nach Perspektive Vordergrund oder Hintergrund in einer spannungsvollen Raumfolge. Alt und Neu, Baukörper und Pflanzen, gegensätzliche Elemente vom Quartierplatz über die Holzbarracke in der spärlich bewachsenen Kiesfläche bis zum gründerzeitlichen Villengarten des Pfarrhauses verbinden sich selbstverständlich zu einer zusammenhängenden, zugänglichen "Quartierlandschaft".
Der Wäsmeliplatz ist Treffpunkt und repräsentativer Vorplatz des Quartierzentrums. Selbstverständlich wenden sich die Eingänge der Geschäfte im Neubau diesem Platz zu. Er reiht sich in die Perlenkette der vielen kleinen Platzaufweitungen an den Strassenkreuzungen im Quartier ein. Die neue "Wäsmeli-Eiche", die den beliebten alten Baum ersetzt hat, markiert weithin sichtbar das neue Zentrum mit seinen verborgenen Freiraum-Juwelen, die sich schon am Platz mit Wegen und Blickbezügen ankündigen.
Grüne Vorzonen flankieren den Neubau beidseits. Die schmalen Streifen fassen nicht nur die Alterswohnungen in einen Pflanzensaum, sondern sind auch wichtige Bindeglieder zum Umfeld: Auf der Strassenseite nimmt die üppige, artenreiche Bepflanzung mit höhengestaffelten Blütensträuchern und Stauden Bezug zum hinter dem Pfadiheim anschliessenden Pfarrgarten. Auf Quartierseite kündigen Blumenwiesen das kleine öffentliche Pärklein in den Tiefen des Areals an: eine von einem alten Zypressenkreis gefasste Wiese mit Sitzgelegenheiten, die ehemals Teil des Pfarrgarten war, doch nun der Allgemeinheit zur Verfügung steht, während der gebäudenahe Teil des Pfarrgartens privat bleibt und den Nimbus des Pfarrhauses aufrechterhält.
Zwischen dem kleinen Park, dem alten Pfarrgarten und dem Neubau mit den Alterswohnungen gelegen, erhielt das alte Pfadiheim eine neue Rolle im Gesamtgefüge: Der Holzbau und die sie umgebende, ruderal bewachsene Kiesfläche bilden nicht nur das gesellige Herz des Areals, sie sind auch Dreh- und Angelpunkt der Fussgängerdurchwegung. Und nicht zuletzt Mittlerin zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite die Gründerzeitvilla mit alten Bäumen und der typischen Gartenpflanzenwelt dieser Zeit, auf der anderen das neue Wohnhaus mit der roten Klinkerfassade und den schmalen Grünstreifen. Aus Sicht des Villengartens wird der Holzbau gleichsam zum Gartenpavillon – in Richtung Wohnhaus zur räumlichen Fassung eines gemeinsamen Vorplatzes.
Die Alterswohnungen mit ihren Arkaden orientieren sich zum ruhigen, gemeinschaftlichen Innenhof mit seiner üppigen Fassadenbegrünung, die nicht nur die Privatsphäre der Wohnungen schützt, sondern auch Atmosphäre und Kühlung in den Hof bringt. Pflanzgefässe und Rankgerüste sind ein integraler Entwurf aus einem Guss, doch die eigentliche Raffinesse dieser Lösung ist unsichtbar: Eine Rinne sammelt das Meteorwasser des unterkellerten Hofs und verbindet den Grund aller Pflanzgefässe zu einem grossen, zusammenhängenden Wasserreservoir, das zugleich der Versorgung der Pflanzen und der Drainage des Hofs dient.
Das neue Gemeinschaftszentrum sollte ein Gewinn für alle werden. Doch die Anwohnerschaft wehrte sich gegen die hierfür nötige Fällung der 40 Jahre alten, 14 Meter hohen "Wäsmeli-Eiche". Der hochgeschätzte Baum drohte das mit viel Gemeinsinn konzipierte Bauvorhaben zu kippen. Offene Kommunikation, eine umsichtige Planung und Realersatz für den beliebten Baum brachten die Lösung – und dem Projekt und dem Quartier eine 14 Meter hohe, neue Quartiereiche anstelle des alten Baums.
Fotos 1 und 11: Mark Niedermann. Alle anderen Fotos: Thomas Haug